IMIS

Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien


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A5 ›Flüchtlinge‹ und andere: Die Produktion fluchtbezogener Figuren seit den 1970er Jahren

Prof. Dr. Isabella Löhr

Isabella Löhr, Foto: privat

Geschichte
Freie Universität Berlin und Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam
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Prof. Dr. Jochen Oltmer

Jochen Oltmer, Foto: Simone Reukauf

Geschichte
Universität Osnabrück
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In den 1970er Jahren lässt sich eine Intensivierung gesellschaftlicher Debatten um Flucht und Asyl im deutschen Sprachraum beobachten, die bis heute anhält. Der öffentlich-politische Bedeutungsgewinn von Flucht und Asyl führte in der DDR, in der ›alten‹ Bundesrepublik sowie im vereinigten Deutschland zu einer Expansion der gesellschaftlichen Produktion fluchtbezogener Figuren, die im Mittelpunkt des Teilprojekts steht. Mit der Herstellung und Verwendung solcher Figuren werden Vorstellungen über die (Il-)Legitimität (potenzieller) Migrationen sowie über die ›Nützlichkeit‹, ›Gefährlichkeit‹ oder (Nicht-)Zugehörigkeit der sich Bewegenden kommuniziert. Die ältere, eher positiv konnotierte Figur des ›Flüchtlings‹ wurde mit neuen, meist negativen Bedeutungen aufgeladen und ausdifferenziert. Aus diesen Aushandlungen gingen diverse Figuren hervor, z.B. ›Asylanten‹, ›Unbegleitete Minderjährige‹, ›Bootsflüchtlinge‹, ›Geduldete‹, ›Geflüchtete‹, ›vulnerable Flüchtlingsfrau‹, ›Wirtschaftsflüchtlinge‹ oder ›illegale Migranten‹.

Das Teilprojekt geht davon aus, dass es sich hierbei nicht um mehr oder minder belanglose semantische Verschiebungen handelt. Vielmehr werden zeithistorische Figuren und Kategorien konstruiert, die für das Wahrnehmen und Einordnen von Menschen in Bewegung und für den gesellschaftlichen Umgang mit ihnen relevant sind. So wird mit den Figuren der Flucht ein spezifisches Wissen über Migration produziert, das eng mit gesellschaftlichen Schließungs- oder Öffnungsprozessen und mit konkurrierenden Deutungshoheiten verknüpft ist. Die Figuren geben damit Aufschluss über historisch und räumlich variierende Migrationsregime, in denen Migration auf je besondere Weise von den 1970er Jahren bis heute ausgehandelt worden ist.

An der Aushandlung solcher Figuren beteiligt waren und sind zahlreiche Akteure aus dem politischen, juristischen, administrativen, zivilgesellschaftlichen, medialen und wissenschaftlichen Bereich sowie nicht zuletzt die bezeichneten Personen selbst. Das Projekt analysiert die diskursiven Verschiebungen sowie ihre Machteffekte und fokussiert auf die Konkurrenz-, Interaktions- und Transferbeziehungen zwischen den Akteuren. Wo und in welchem Kontext taucht eine Figur auf und wie verläuft ihre Karriere? Warum, wie und von wem werden Figuren vor dem Hintergrund welcher Interessen, Ressourcen und Ziele geschaffen, verworfen und modifiziert? Inwieweit beeinflussten sich die aus den nationalen, postkolonialen, europäischen und vom Kalten Krieg geprägten Diskurstraditionen der DDR sowie des ehemaligen Westdeutschlands hervorgehenden Figuren? Inwieweit veränderte die Transformation der beiden deutschen Staaten nach 1990 diese Figuren und welche kamen neu hinzu?

Dazu werden zunächst auf einer breiten empirischen Basis Textkorpora aus der DDR, dem ehemaligen Westdeutschland und der Bundesrepublik seit 1990 (u.a. Parlamentsprotokolle, Zeitungsartikel, Rechtstexte) statistische Analysen durchgeführt, um signifikante Figuren zu identifizieren. Ausgewählte Figuren werden anschließend einer qualitativen, zeithistorisch kontextualisierenden Tiefenbohrung unterworfen, um den jeweiligen Prozess der Hervorbringung und Aushandlung der Figuren in einer vergleichenden Perspektive sowie in seinen nationalen Spezifika zu rekonstruieren. Ziel des Vorhabens ist es, durch die Verknüpfung quantitativer und qualitativer Ansätze die Produktion und Ausdifferenzierung fluchtbezogener Figuren im deutschsprachigen Raum seit den 1970er Jahren in vergleichender und transnationaler Perspektive nachzuvollziehen und ihre Bedeutung für die gesellschaftliche Aushandlung von Migration zu verstehen.