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Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien


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Details zum Projekt: Schriftkulturelle Ressourcen und Barrieren marokkanischer Kinder in Deutschland

Projektleitung:

Prof. Dr. Utz Maas, Universität Osnabrück, Professor für allgemeine und vergleichende Sprachwissenschaft

Wissenschaftlicher Mitarbeiter:

Dr. Ulrich Mehlem

Projektdaten
  • Laufzeit des Projekts: 1.2.1999 bis 31.1.2002
  • gefördert durch: Stiftung Volkswagenwerk, Förderschwerpunkt: Das Eigene und das Fremde
  • Ausstattung: 1 Stelle eines Wissenschaftlichen Mitarbeiters, 6 Stellen (à 46 Monatsstunden) für Wissenschaftliche Hilfskräfte, sowie Sachmittel
Gegenstandsbereiche  
  • mündlicher und schriftlicher Spracherwerb von Kindern marokkanischer Migranten in Deutschland
  • Vergleich der Entwicklung sprachlicher Fähigkeiten in den Herkunftssprachen marokkanisches Arabisch (dariZa),  bzw. Berberisch (Tarifit), sowie in der Zweitsprache Deutsch
  • Untersuchung von Sprache unter formalen und funktionalen Gesichtspunkten in unterschiedlichen Anwendungskontexten und Registern (Erzählung, Dialog, Beschreibung, Lesen, Hörverständnis)
  • soziokulturelle Rahmenbedingungen des Spracherwerbs und des Umgangs mit geschriebener Sprache
  • Einflüsse weiterer in Marokko gebrauchter Sprachen: Hocharabisch, Spanisch, Französisch
Kurzdarstellung

Das Projekt untersucht die „schriftkulturellen Ressourcen und Barrieren bei marokkanischen Kindern in Deutschland“. Ziel des Projektes ist es, die sprachlichen Ressourcen, über die marokkanische Kinder verfügen und die sie zum Erwerb schriftsprachlicher Fähigkeiten nutzen können, doch auch die Barrieren, die einer Übertragung ihres sprachlichen Wissens vom Mündlichen auf das Schriftliche entgegenstehen, umfassend zu explorieren.

Der Ansatz berücksichtigt

  • die mehrsprachige Ausgangssituation der marokkanischen Einwanderergruppe in Deutschland: die Mehrheit der Familien stammt aus dem östlichen Rif und spricht eine Variante des Berberischen, Tarifit, als Muttersprache. Es gibt aber auch immer mehr Familien, deren Muttersprache das marokkanische Arabisch ist. Auch zweisprachige Familien sind nicht selten. Darüberhinaus kommen die Kinder - bei der religiösen Praxis ebenso wie im muttersprachlichen Unterricht mit dem Hocharabischen - in Berührung. Das Französische als inoffizielle zweite Amtssprache Marokkos und das Spanische mit seinen Einflüssen insbesondere in Nordmarokko spielen zumindest bei der sprachlichen Sozialisation der Eltern und beim Gebrauch der Medien (z.B. dem marokkanischen Fernsehen) eine gewisse Rolle;
  • die relative Selbständigkeit der Schriftsprache, über deren Aneignung keine direkten Rückschlüsse aus der gesprochenen Sprache gezogen werden können. Die Schwierigkeiten gerade vieler marokkanischer Kinder der zweiten und dritten Generation bei der Aneignung der deutschen Schriftsprache schlagen sich u.a. in einer besonders ungünstigen Verteilung im deutschen Schulsystem nieder;
  • den Zusammenhang von formaler Sprachbeherrschung (Kenntnis sprachlicher Formen und Strukturen) und der Nutzung ihrer kommunikativen Funktionen in unterschiedlichen Registern (mündliche Nacherzählung, Beschreibung, informelles Gespräch);
  • die sozio-kulturellen Einflüsse, die aus der Bedeutung der Schrift in der marokkanisch-islamischen Kultur resultieren und die sich in bestimmten Einstellungen und Umgangsformen mit schriftlichen Texten - auch bei den marokkanischen Familien in Deutschland - niederschlagen.

Die soziokulturellen Rahmenbedingungen marokkanischer Kinder in Deutschland werden am Beispiel einer Großstadt im Ruhrgebiet mit einer relativ großen marokkanischen Gemeinschaft erforscht; erhoben werden Informationen zur Migrations- und Schulgeschichte, zum mündlichen Sprachgebrauch in verschiedenen Lebensbereichen und zum Gebrauch von Medien in verschiedenen Sprachen. Die Kinder sollen in möglichst vielen verschiedenen Lebensbereichen (Schule, Arabischunterricht in der Moschee, Familie, Hausaufgabenhilfe, Freizeiteinrichtungen) begleitet und in ihrem sprachlichen Verhalten beobachtet werden. Soweit möglich, werden auch die Eltern der Kinder zu ihren Sprachkenntnissen, zum Sprachgebrauch und zum Umgang mit Schriftkultur in der Familie und zu ihren Erfahrungen mit und Erwartungen an die deutsche Schule befragt.

Die linguistischen Analysen gehen von sprachlichem Verhalten in verschiedenen Kontexten aus, das aufgezeichnet wird. Hierbei werden unterschiedliche sprachliche Register (Erzählung einer Bildergeschichte, Spontanerzählung, Dialog, Beschreibung) berücksichtigt.

Ein Erhebungsinstrument besteht darin, daß die Kinder ihre Sprachaufzeichnungen vom Band abhören und selbst verschriften. Bei den Herkunftssprachen stehen hierbei potentiell zwei Verschriftungssysteme (lateinische und arabische Schrift) zur Verfügung. Ergänzend werden Tests zum Umgang mit bestimmten sprachlichen Strukturen, zur Aneignung von Verschriftungskonventionen sowie zum Lese- und Hörverständnis (geschriebene Texte, Ausschnitte aus Radio- und Fernsehsendungen in verschiedenen Sprachen) durchgeführt.

Aus den Analysen der Sprachaufnahmen unter formalen und funktionalen Gesichtspunkten werden Aufschlüsse darüber erwartet, welchen Sprachstand die Kinder in ihren unterschiedlichen Sprachen erreicht haben, welche Sprache dominiert, inwiefern die Strukturen der einen Sprache von der jeweils anderen Sprache beeinflußt sind, und wie weit der Ausbau des Sprachsystems in Richtung auf die Schriftsprache vorangeschritten ist. Für das Deutsche werden die Ergebnisse mit denen einer muttersprachlichen deutschen Kontrollgruppe aus demselben Umfeld verglichen.

Die Kinder erschließen sich ihre schriftsprachlichen Möglichkeiten zunächst in einer Sprache, in der Regel über das Deutsche. Geprüft werden soll, inwieweit und wie schnell es den Kindern gelingt, diese Ressourcen, abstrahiert von der einzelsprachlichen Form, auch auf ihre anderen Sprachen zu übertragen. Es wird vermutet, daß das Hocharabische, das im schulischen Muttersprachunterricht bzw. in Eltern- und Moscheevereinen unterrichtet wird, keinen geeigneten Ansatzpunkt zur Erschließung schriftkultureller Ressourcen darstellt, daß aber auch das arabische Schriftsystem für die Entwicklung von Verschriftungstechniken genutzt werden kann.

Bezüglich der Herkunftssprachen wird außerdem untersucht, wie stark ihre Entwicklung den sprachlichen Verhältnissen des Herkunftslandes, insbesondere der Herausbildung einer gemeinsamen „koiné“, des marokkanischen Arabischen, folgt, oder ob durch die Situation in der Diaspora eine Abkopplung der Herkunftsvarietäten vom Herkunftsland der Eltern eingetreten ist. Hierzu wird eine Kontrolluntersuchung in der marokkanischen Herkunftsregion der Kinder durchgeführt.

Bei der Auswertung wird zunächst für jedes Kind ein eigenes Sprachprofil erstellt, das Auskunft über die Verfügung sprachlicher Mittel jeweils in der Herkunftssprache und Deutsch (und eventuell weiterer Sprachen) und über ihre Nutzung in unterschiedlichen Registern gibt. Besonderes Augenmerk wird auf die Umgestaltung der Sprache beim Verschriftungsprozeß und die hierbei wirksamen unterschiedlichen Einflüsse gerichtet. Hierbei sind normative Vorgaben, Auswirkungen der Mehrschriftigkeit, die Bedeutung der Orthographie und die Übertragung von Wissen über sprachliche Strukturen zu unterscheiden, die bei der Spontanverschriftung gesprochener Sprache stattfindet, für die kein schriftlicher Standard existiert.

Die Sprachprofile werden verglichen und zu verschiedenen Typen zusammengefaßt, die dann auch mit den soziokulturellen Faktoren korreliert werden. Vermutet wird, daß Kinder aus Familien mit engeren Bindungen an die Herkunftskultur auch ein anderes Sprachprofil aufweisen und über andere schriftkulturelle Ressourcen verfügen als Kinder, die stärker von ihrem deutschen Umfeld geprägt sind.

In dem Projekt werden nicht zuletzt darüber Aufschlüsse erwartet, welche schulischen und außerschulischen Fördermaßnahmen geeignet sind, um die Aneignung schriftsprachlicher Fähigkeiten bei marokkanischen Kindern zu fördern.