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Schriftkulturelle Ausdrucksformen der Identitätsbildung
bei marokkanischen Kindern und Jugendlichen in Marokko
Prof. Dr. Utz Maas, Dr. Ulrich Mehlem
Überblick über das Projekt und seine wichtigsten Ergebnisse
Mit der Zielsetzung, „schriftkulturelle Ausdrucksformen der Identitätsbildung bei marokkanischen Kindern und Jugendlichen“ in Marokko zu untersuchen, hat das Projekt die Vorgaben des Schwerpunktes „Konstruktionen des ‚Fremden’ und des ‚Eigenen’: Prozesse interkultureller Abgrenzung, Vermittlung und Identitätsbildung“ mikroanalytisch umgesetzt. An einer Reihe von Schulen in Marokko wurden die schriftkulturellen Praktiken bei Schulanfängern bis hin zu Gymnasiasten in einer Pseudo-Longitudinalstudie erhoben, um darin Formen der Selbstpositionierung in kulturellem Feld zu bestimmen (in schriftkulturellen Praktiken also das zu identifizieren, was in der einschlägigen sozialwissenschaftlichen Diskussion als „Identitätsakte“ gefasst wird). Untersucht werden sollte insbesondere die Spannung zwischen den vorgegebenen kulturellen Identifikationsmustern des öffentlichen Diskurses, insbesondere den vorgegebenen „legitimen“ kulturellen Mustern, und den Mustern, die für die individuelle Praxis der Schreiber tatsächlich leitend waren. Vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Dynamik in dem Auswanderungsland Marokko war zu erwarten, dass hier eine erhebliche Bandbreite von Dissoziierungen der verschiedenen kulturellen Momente greifbar würde.
Grundlage für die Untersuchungen, insbesondere auch in methodischer Hinsicht, waren die Ergebnisse eines Vorläuferprojektes zu den schriftkulturellen Praktiken marokkanischer Migrantenkinder in der deutschen Diaspora, das schon durch den Vergleich mit einer marokkanischen Kontrollgruppe im Heimatland gezeigt hatte, wieweit sich gerade in schriftkulturellen Praktiken Verhaltensmuster „hinter dem Rücken“geltend machen, indem die marokkanischen Kinder in Deutschland sich unabhängig von ihrer expliziten kulturellen Selbstpositionierung in erster Linie an den vorgegebenen Modellen des Einwanderungslandes abarbeiten bzw. orientieren, der schriftkulturellen Matrix des Deutschen.
Die Methoden und Ergebnisse dieses Projektes sollten in diesem Folgeprojekt in Marokko nutzbar gemacht werden (die im Antrag vorgesehene parallele Ausweitung der Befunde durch einen Vergleich in den verschiedenen Diaspora-Ländern in Europa war von der Stiftung nicht bewilligt worden). Die Beschränkung auf eine spezifische marokkanische Region, Ostmarokko, war nicht nur aus Umfangsgründen erforderlich, sondern sie sollte es insbesondere auch ermöglichen, den Einschluss „transnationaler“ Faktoren in diesem kulturellen Prozess in den Blick zu nehmen, da diese die Herkunftsregion für den überwiegenden Teil der marokkanischen Einwanderer in Deutschland war und ist. Für die Zielsetzung des Projektes war auch maßgeblich, dass das in der bisherigen Forschungsliteratur vermittelte Bild eine weitgehend von noch traditionellen Verhältnissen bestimmte marokkanische Gesellschaft an der Schwelle der Modernisierung zeigt. Dies gilt insbesondere für eine konkrete Bezugsuntersuchung, die in der ersten Hälfte der 80er Jahre mit Mitteln US-amerikanischer und kanadischer Forschungsinstitutionen, aber auch der UNESCO und der Weltbank auf der Basis einer ausgedehnten Feldforschung durchgeführt worden war (publiziert als Wagner 1993). Das Untersuchungsdesign dieser sehr viel breiter angelegten Untersuchung wurde denn auch in das Vorgehen des Projektes integriert, um hier die Vergleichbarkeit der Aussagen zu sichern und so auch die dramatischen Veränderungen in den Blick zu bekommen, die sich in Marokko seit dieser Zeit vollzogen haben.
Schriftkulturelle Praktiken werden als Schlüsselbereich der gesellschaftlichen Modernisierung verstanden, insofern moderne Gesellschaftsformen (nicht nur, aber insbesondere auch schon im produktiven Sektor) an eine dezentrierte, symbolisch „optimierte“ Sprachpraxis gebunden sind, die in der (orthographisch geregelten) Schrift ihren Fluchtpunkt hat. Die Aneignung (bzw. Vermittlung) schriftkultureller Kompetenzen regelt insofern auch den Grad der Partizipation an den modernisierten Verhältnissen. Modellieren lässt sich das mit einem skalierten Kompetenzbegriff, der seine Pole in einer maximalen „virtuosen“ Nutzung der schriftkulturellen Ressourcen auf der einen Seite und pseudo-schriftkulturellen Praktiken auf der anderen Seite hat, die nur an der ästhetischen Seite der Schriftkultur (etwa in religiösen Praktiken) partizipieren, diese ansonsten als professionelle Tätigkeiten gesellschaftlich beschränken. Letzteres charakterisiert aber die marokkanische Gesellschaft, wie sie sich in den bisherigen Untersuchungen darstellt, und findet seinen deutlichsten Ausdruck in einer Analphabetenrate von nach wie vor über 50%, wobei auch die Übernahme technischer Innovationen in einer Re-Oralisierung des gesellschaftlichen Verkehrs zu münden scheint. Um diese Skala analytisch in den Griff zu bekommen, operiert das Projekt mit einer schriftkulturellen Rasterung, die auf den verschiedenen Ebenen der globalen Textstruktur, der grammatischen Integration der Textsegmente (Sätze), der phonographischen Repräsentation der Wortformen und schließlich der graphischen Darstellung der alphabetischen Elementarzeichen (arabische vs. lateinische Schrift) differenziert ist. Um mit den eingeschränkten Mitteln des Projektes hier zu konkreten Ergebnissen zu kommen, sollten jeweils ausgewählte Bereiche auf diesen Ebenen untersucht werden (daher die Einschränkung auf narrative Textstrukturen, die grammatische Kontrolle der Wortauszeichnung, silbenstrukturelle Filter der Wortrepräsentation u. dgl. mehr). Die Auswertung sollte so erfolgen, dass die Operationalisierung der Variablen zu klaren Profilierungen der jeweils untersuchten schriftkulturellen Praktiken führen kann.
Diese formalen schriftkulturellen Parameter waren auf die sprachlichen Ressourcen abzubilden, die schriftkulturell genutzt werden:
- dominant die offizielle Schriftsprache in Marokko, die auch im schulischen Kontext im Vordergrund steht: das Hocharabische (Fusha),
- die Familiensprache (marokkanisches Arabisch: Darija, bzw. Berberisch: das regionale Tarifit),
- die inoffizielle Gemeinsprache in Marokko, die arabische Koiné (als Ausgleichsform der Darija) die insbesondere in den berberophonen Gebieten wie im Untersuchungsbereich Nador den direkten Zugang zum Arabischen bestimmt (dort wird kein arabischer lokaler Dialekt gesprochen),
- die europäischen Sprachen, von denen das Französische auch im Schulsystem als Zweitsprache verankert ist. Im Migrationskontext haben aber auch andere Sprachen eine gewisse Präsenz.
Diese Indikatoren sind mit sozialen zu korrelieren, insbesondere
- der sozioökonomischen Situation der Familie,
- der kulturellen Orientierung der Familie, wie sie einerseits in der religiösen Ausrichtung, andererseits im Bildungshintergrund bzw. den Bildungsansprüchen in der Familie deutlich wird,
- der sozialen Verortung der Familie, die Migrationserfahrungen im Inland sowie Partizipation an der europäischen Migration einschließen kann,
- der „ethnischen“ Orientierung: berberischer gegenüber arabischem Hintergrund,
- geschlechtsspezifischen Orientierungen, bei den Schülerinnen und Schülern, aber auch unterschiedlich ausgeprägt bei den Eltern (der Mütter gegenüber den Vätern),
- den individuellen Bildungsorientierungen und Lernstilen der untersuchten Schüler,
- den institutionellen Formen der schriftkulturellen Ausrichtung und Unterrichtsstilen, v.a. Dingen auch in den verschiedenen vorschulischen Institutionen: Qur‘anschule gegenüber staatlicher Vorschule.
Zu erwarten war in diesem Feld eine große interindividuelle Streuung der Befunde, weshalb neben der statistischen Auswertung größerer Untersuchungsgruppen, die einen gewissen Anspruch auf Repräsentativität haben, auch Tiefenanalysen („Fallstudien“) im Vordergrund stehen sollten, die die Bandbreite der Streuung verdeutlichen können. Damit sollte vor allem auch die Spannung zwischen dem offiziellen (legitimen) Diskurs über die sprachlichen Verhältnisse, der sich auch in den Selbstaussagen zu Spracheinstellungen spiegelt, gegenüber der Steuerung der Praxis „hinter dem Rücken“ sichtbar werden. Hier war eine Differenz zu der angesprochenen Untersuchung der 80er Jahre (Wagner 1993) zu erwarten, die noch die traditionalen Verhältnisse in Marokko spiegelt. Es konnte davon ausgegangen werden, dass die schulisch nicht legitimierten sprachlichen Praktiken, vor allem also die gesprochene Koiné, die in der marokkanischen Öffentlichkeit und nicht zuletzt auch in den Medien dominiert, den Horizont der Sprachpraxis bestimmen. In den Indikatoren des schriftkulturellen Analyserasters sollte sich das in Präferenzen für eine konsistente schriftkulturelle Artikulation ausdrücken, gegenüber einer traditionalen Haltung, die die normativen Filter der schulisch allein legitimen hocharabischen Praxis in den Vordergrund stellt.
Im Ergebnis hat das Projekt in dieser Hinsicht tatsächlich eine große Bandbreite von interindividueller Variation deutlich gemacht, die so bei der Untersuchung vonWagner 1993 nicht sichtbar war und vermutlich auch nicht sichtbar werden konnte. Für diese frühere Untersuchung war charakteristisch, dass dort die unterschiedlichen sprachlichen Ressourcen der Schüler (arabophoner oder berberophoner Hintergrund) für den Verlauf der schulischen Karriere letztlich keine ausschlaggebende Bedeutung zu haben schienen. Die derzeitigen Verhältnisse sind demgegenüber, wie die Detailbefunde des Projektes zeigen, dadurch bestimmt, dass in dem Maße, wie eine „modernisierte“ schulische Praxis bemüht ist, die sprachlichen Ressourcen der Schüler zu nutzen, diesbezügliche Unterschiede auch eine entsprechend große Rolle spielen. Für die bisherige Pädagogik, die insbesondere die Ressourcen der gesprochenen Sprache (der arabischen Koiné) eher tabuisiert, ist hier eine Barriere definiert.
Zu den aufschlussreichsten Detailergebnissen des Projektes gehört sicherlich der Befund, dass die berberophonen Kinder bei der (experimentellen) Verschriftung ihrer gesprochenen Sprache in der Regel weniger Probleme hatten als die arabophonen Kinder bei der (allerdings auch von ihnen spontan ohne Probleme angegangenen) Aufgabe einer Darija-Verschriftung, die dauernd in Konflikt mit den vorgegebenen Fusha-Normen gerät. Um diese Differenzen greifbarer zu machen, waren in der Auswertung relativ detaillierte und fein differenzierte Rasterungen der schriftkulturellen Strukturen erforderlich, in denen die abgestufte selbstbewusste Positionierung der Schüler z.T. recht eindrucksvoll deutlich wird. Im Rahmen des Möglichen wurden diese Befunde dann mit außersprachlichen Indikatoren entsprechend dem o. a. Raster korreliert.
In fünf Fallstudien konnten exemplarische Konstellationen unterschiedlicher Schülereinstellungen mit sozioökonomischen und soziokulturellen Indikatoren ermittelt werden. Es wurde deutlich, daß bestimmte Einstellungen wie starke religiöse Orientierung, Präferenz des Hocharabischen und traditionelle Einstellungen zum Lernen kumuliert oder dissoziiert auftreten können. Niedriger Bildungsstand der Eltern scheint auch bei den Kindern die Herausbildung “modernerer” Lerneinstellungen zu verhindern oder zu verzögern. Religiöse Orientierung kann – zumindest bei höherem Bildungsgrad der Eltern – ebenso mit einer Präferenz des Französischen wie mit der des Hocharabischen verbunden sein und ist dann auch an eine klare Bildungsorientierung der Kinder gebunden. Jüngere Schüler folgen noch stärker als ältere den imaginierten Stereotypen ihrer Eltern, z.B. über den Wert der Qur’anschule oder das Auswendiglernen. Trotz ihrer zum Teil noch eher traditionellen Unterrichtsformen trägt somit die marokkanische Schule dazu bei, daß sich Einstellungen, die „lernen“ und „verstehen“, „leises Lesen“ und „Rekonstruktion von Sinn“ im Zusammenhang sehen, zunehmend durchsetzen. Mädchen, die in den ersten Schuljahren noch stärker als Jungen einer eher traditionellen Wissenskultur verhaftet sind, scheinen sich umgekehrt im Laufe der Grundschulzeit in besonders starkem Maße von solchen Vorstellungen zu lösen und nutzen damit in besonderem Maße ein Modernisierungspotenzial, das im Zuge der gesellschaftlichen Umwälzungen der letzten 20 Jahre auch die marokkanische Schule erreicht hat.
Publikationen:
Utz Maas/Ulrich Mehlem, Schriftkulturelle Ausdrucksformen der Identitätsbildung bei marokkanischen Kindern und Jugendlichen in Marokko. Abschlußbericht des von der Stiftung Volkswagenwerk 2002-2004 am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück geförderten Forschungsprojekts. IMIS, Osnabrück 2005, 350 S. (verfügbar als pd-download: Teil 1 – Teil 2 – Teil 3).
Weitere Publikationen siehe Projekt Schriftkulturelle Ressourcen und Barrieren bei marokkanischen Kindern in Deutschland
Pressemitteilung (2003) zu beiden Projekten:
"Schriftkulturelle Ausdrucksformen der Identitätsbildung bei marokkanischen Kindern und Jugendlichen in Marokko" (Neubewilligung) und "Schriftkulturelle Ressourcen und Barrieren bei marokkanischen Kindern in Deutschland" (bereits abgeschlossen:
"An der Universität Osnabrück befaßt sich das Fachgebiet Sprachwissenschaft in Verbindung mit dem Institut für Migrationsforschung und interkulturelle Studien (IMIS) insbesondere auch mit den sprachlichen Verhältnissen in Nordafrika und den Folgen der Migration von dort nach Deutschland. Für diesen Forschungsbereich hat die Volkswagenstiftung jetzt die Mittel für ein neues Forschungsprojekt "Schriftkulturelle Ausdrucksformen der Identitätsbildung bei marokkanischen Kindern und Jugendlichen in Marokko" bewilligt, das im Herbst d. J. in Zusammenarbeit mit marokkanischen Kollegen die Arbeit aufnehmen wird (Leitung: Prof. Dr. Utz Maas). Zur Vorbereitung der Projektarbeit war im Juli d.J. Prof. Dr. Mohamed Elmedlaoui (Univ. Oujda, Marokko) mit Unterstützung des Nieders. Wissenschaftsministeriums an der Universität Osnabrück. Im Projekt werden neben dem Arabisten- und Islamwissenschaftler Dr. Ulrich Mehlem eine Reihe von deutschen und marokkanischen Forschungsassistenten tätig sein.
Damit werden die Forschungen in einem vorausgehenden, ebenfalls von der Volkswagenstiftung geförderten Projekt zu den "Schriftkulturellen Ressourcen und Barrieren bei marokkanischen Kindern in Deutschland" fortgeführt. Dort wurden mit der umgekehrten Blickrichtung die sprachlichen Leistungen von Kindern marokkanischer Einwanderer untersucht, sowohl im Deutschen wie in den jeweiligen Muttersprachen (marokkanisches Arabisch oder marokkanisches Berberisch), jeweils im Mündlichen wie im Schriftlichen. Diese Untersuchung wurde in zwei Orten mit größeren marokkanischen Bevölkerungsanteilen im Ruhrgebiet und im Rheinland durchgeführt, mit zwei Kontrolluntersuchungen: einerseits zu den vergleichbaren Leistungen von gleichaltrigen muttersprachlichen Deutschsprechern, andererseits von muttersprachlichen Marokkanern in Marokko (sowohl im Arabischen wie im Berberischen).
Die Ergebnisse dieses inzwischen abgeschlossenen Projektes erhalten eine besondere Bedeutung vor dem Hintergrund der laufenden Diskussion um die Evaluierung schulischer Förderung auf der einen Seite (ausgehend von der PISA-Studie), der Diskussion um Fördermaßnahmen in Verbindung mit dem neuen Zuwanderergesetz auf der anderen Seite. Sie zeigen sehr deutlich, in welchem Ausmaß diese Kinder, die im schulischen Bereich zu der schwierigsten Gruppe gerechnet werden, sich entgegen dem Anschein die Bedingungen des Einwanderungslandes aneignen. Besonders sinnfällig wird das, wenn diese Kinder versuchen, ihre muttersprachlichen Texte in arabischer Schrift zu verschriften: Auch in einer solchen "exotischen" Form orientieren diese Kinder sich in Deutschland dabei an der Struktur des deutschen Schriftsystems, während die gleichaltrigen Kinder in Marokko sich selbstverständlich an dem strukturell ganz anderen arabischen Schriftsystem orientieren, sodaß die schriftliche Form ihrer Texte sich erheblich unterscheidet. Die exotischen arabischen Schriftformen maskieren hier die unterschiedliche kulturelle Haltung: bei den Kindern in Deutschland ihren Schritt zur Integration in die deutsche Kultur.
Dieser Integrationsanstrengung steht nun aber gegenüber, daß die Leistungen dieser Kinder sich z. T. sehr dramatisch von denen der gleichaltrigen muttersprachlichen Kinder in den deutschen Schulen unterscheiden, was auch den statistisch gesehen extrem geringen Schulerfolg gerade dieser Schüler erklärt. Offensichtlich ist das schulische System nicht darauf vorbereitet, die Leistungen dieser Kinder zu honorieren und ihnen eine entsprechende Förderung zukommen zu lassen, die sie dem von ihnen angestrebten Ziel, dem Erwerb schriftkultureller Kenntnisse, näher bringt. Eine solche Förderung setzt allerdings ein diagnostisches Instrument voraus, mit dem derartige Leistungen überhaupt erst sichtbar werden. Ein solches Instrument fehlt gerade im schulischen Kontext bisher weitgehend, wo pädagogisch gut gemeinte interkulturelle Aktivitäten im Vordergrund stehen, nicht aber eine entsprechend qualifizierte sprachliche Förderung, die die spezifischen Ressourcen dieser Kinder zu nutzen versteht. Diesen Aspekten ist, wie PISA gezeigt hat, ohnehin in der Lehrerausbildung eine größerer Stellenwert einzuräumen. Dagegen steht allerdings nicht nur eine verbreitete Sperre gegenüber einer derartig anspruchsvollen pädagogischen Arbeit, sondern auch die traditionelle Ausrichtung der sprachwissenschaftlichen Forschung auf die gesprochene Sprache. Die Projektergebnisse (die in dem neuen Projekt mit einer Untersuchung in Marokko fortgeführt werden sollen) nötigen hier zu einer Korrektur. Zu erforschen ist der Zugang zu den schriftkulturelle Fertigkeiten, die, wie es diese Kinder offensichtlich spontan für sich selbst richtig sehen, Voraussetzung für eine erfolgreiche Teilhabe an dieser Gesellschaft sind. Auf der Grundlage solcher Forschungen sollte dann auch eine entsprechende schulische Förderung möglich werden (in den Schulen in Deutschland wie in Marokko), auf die diese Kinder allerdings angewiesen sind.
Die Ergebnisse des ersten Projektes wurden an einem als besonders schwierig eingeschätzten Fall der deutschen Schulwirklichkeit gewonnen; insofern können sie exemplarisch genommen und über die Gruppe marokkanischer Schüler hinaus verallgemeinert werden. Daher werden die Befunde derzeit auch so aufbereitet, daß sie für ein breiteres, vor allem auch pädagogisch interessierteres Publikum lesbar und nutzbar werden. Ihre Publikation in Buchform ist für Anfang 2003 in der Schriftenreihe des IMIS vorgesehen."