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Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien


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C4 Die Produktion von Räumen migrantischen Verschwindens

Dr. Maurice Stierl

Maurice Stierl, Foto: Simone Reukauf

Politische Soziologie/ Geographie
Universität Osnabrück
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55.487 Migrant:innen sind seit 2014 laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) weltweit verschwunden. Das Dunkelfeld allerdings ist groß. Das Teilprojekt analysiert die Produktion von Räumen migrantischen Verschwindens als konfliktive Aushandlung der Un- bzw. Sichtbarmachung der Verschwundenen. Migrantisches Verschwinden findet oft an globalen ›Bruchstellen‹ statt, die sowohl Nationalstaaten als auch den Globalen Süden vom Globalen Norden trennen. Die Analyse fokussiert empirisch eine solche Bruchstelle: die Meereszone im Atlantischen Ozean zwischen West- und Nordafrika und den spanischen Kanarischen Inseln. Sie ist im Vergleich zu anderen Grenzräumen, etwa dem Mittelmeer und der Grenzregion USA-Mexiko, wenig erforscht. Dabei stieg die Zahl verschwundener und verstorbener Migrant:innen dort seit 2020 sprunghaft an.

Das Teilprojekt geht von der Annahme aus, dass Räume, in denen Migrant:innen ›verschwinden‹, durch ein komplexes Zusammenwirken von Politiken, Akteuren, Praktiken, Infrastrukturen und geographischen Bedingungen – in diesem Fall der Atlantische Ozean – produziert werden. Das Teilprojekt untersucht die Bedingungen, Dynamiken und Mechanismen der Hervorbringung dieser Räume. So ist die Intensivierung der ›irregulären‹ Migration zu den Kanarischen Inseln und damit die Verlagerung auf eine gefährliche Seeroute auf Politiken der Restriktion von Migration und der Grenzexternalisierung der Europäischen Union zurückzuführen. Maßgeblich dazu beigetragen haben auch migrationspolitische Regulierungsversuche west- und nordafrikanischer Staaten sowie Mobilitätsbeschränkungen und eine Verschärfung der ohnehin schon schwierigen ökonomischen Lage im Zuge der Covid-19-Pandemie.

Besonderes Augenmerk legt das Teilprojekt auf Mechanismen des Verschwindens und die Versuche der Un-/Sichtbarmachung, die in einer ›multi-sited ethnography‹ mit Fokus auf Spanien, Marokko und Senegal untersucht werden. Es wird analysiert, ob und wie der Mangel an staatlichen Quantifizierungsversuchen das Phänomen des migrantischen Verschwindens – und damit auch die Räume des Verschwindens – unsichtbar macht. Da es keine systematische staatliche Erfassung gibt, versuchen nicht-staatliche und internationale Akteure, die Zahl und Identität der Verschwundenen zu ermitteln und das Verschwinden gesellschaftlich sichtbar und zu einem Gegenstand von Aushandlungen zu machen. Zudem entwickeln Familienangehörige der Verschwundenen und zivilgesellschaftliche Organisationen spezifische Protest- und Erinnerungskulturen, die dem Verschwinden soziale und politische Relevanz verschaffen wollen.

Die zentralen Forschungsfragen des Teilprojekts lauten: Wie werden Räume migrantischen Verschwindens produziert? Welche Akteure handeln auf welche Weise migrantisches Verschwinden und dessen Un-/Sichtbarkeit und Zählbarkeit aus? Welche Bedeutung kommen dem Grenzraum und Verräumlichungen in der Un-/Sichtbarmachung des Verschwindens zu?